| Biodiversität

Katrin Eder: „Müssen Artenvielfalt in und außerhalb von Naturschutzgebieten fördern“

Insektenforscher findet heraus, warum es in Naturschutzgebiet bei Boppard bundesweit die höchste Artendichte gibt: Größe, Stoffeinträge, Pflegemaßnahmen und Beweidung durch Tiere entscheidend
Blumenwiese
Blumenwiese

„Es ist wichtig, wissenschaftliche Erkenntnisse darüber zu haben, was dem Erhalt der Biodiversität dient. Denn der Erhalt der Artenvielfalt ist neben dem Klimaschutz die größte Herausforderung unserer Zeit. Sind Arten ausgestorben, sind sie unwiederbringlich verschwunden – und damit auch ihre jetzige und künftige Funktion im Ökosystem. Fehlt die Bestäubungsleistung, gibt es weniger Ertrag, bei Nutzpflanzen wirkt sich ein Rückgang der Anzahl der Insekten insgesamt, aber auch der einzelnen Insektenarten somit ganz konkret auf die Erntemenge aus. Viele Insekten sind zudem auf die Bestäubung ganz bestimmter Pflanzen spezialisiert. Andere Insekten tragen dazu bei, dass unsere Böden und Gewässer gereinigt werden, indem sie Pflanzen- und Tierreste verwerten. Und viele Funktionen der einzelnen Arten sind schlichtweg noch gar nicht bekannt. Deshalb müssen wir alles daransetzen, die Artenvielfalt mit all ihren Funktionen und ihrer Schönheit zu erhalten“, sagte Klimaschutzministerin Katrin Eder am heutigen Dienstag im Naturschutzgebiet Hintere Dick bei Boppard. Hier wurde mit 5.000 verschiedenen Arten die bundeseweit größte Artendichte in einem Naturschutzgebiet festgestellt. Dies fand der renommierte Insektenforscher Dr. Martin Sorg bereits 2021 in einer Studie heraus.
 
In einer aktuellen, vom Klimaschutzministerium mit 69.000 Euro geförderten Studie untersuchte er nun, woran das liegt. Die Ergebnisse: Erstens: Naturschutzgebiete sollten möglichst groß sein, um vor Stoffeinträgen, wie Stickstoff und Pestiziden bewahrt zu werden. Zweitens: Sie müssen gepflegt, beispielsweise Obstbäume geschnitten, Uferbereiche abschnittsweise freigestellt und Grünlandbiotope entbuscht und offen gehalten werden. Und drittens: Die Beweidung durch Tiere trägt durch Offenhaltung und Dungeintrag zu einer höheren Artenvielfalt bei. Das Naturschutzgebiet „Hintere Dick“ ist in einer vor Einträgen geschützten Kessellage mit rund 100 Hektar deutlich größer als der Durchschnitt der meisten anderen Naturschutzgebiete mit rund 50 Hektar; hier findet man den größten Streuobstbestand im UNESCO Kultur- und Naturerbe Mittelrhein, zusätzlich wird die Fläche in Anpassung an die Naturschutzziele mit Rindern, Ziegen und Schafen beweidet.

„Die Untersuchungen haben gezeigt, dass solch heterogenen Flächen auch in krassen Dürrejahren eine hohe Anzahl der einzelnen Individuen als auch der einzelnen Arten insgesamt aufweist. Die Tiere haben hier genug Ausweichmöglichkeiten. So findet man hier beispielsweise den Sandlaufkäfer, der offen Flächen braucht oder Widderchen Schmetterlinge, die magere Wiesen brauchen. Das alles gelingt jedoch nur durch entsprechende Pflegemaßnahmen“, so Dr. Sorg. Die hohe Insektendichte führe wiederum dazu, dass sich hier viele, sonst sehr seltene, insektenfressende Vögel aufhalten. Bundesweit gebe es beispielsweise nirgendwo so viele Wendehälse wie hier. Auch den seltenen Mittelspecht und den Neuntöter findet man in hohen Dichten hier. 

Sind Flächen verbuscht, haben hier Blühpflanzen kaum eine Chance. Auf diese sind viele Insekten jedoch angewiesen. Die Beweidung durch einen geringen Tier-besatz trägt einerseits dazu bei, die Flächen offen zu halten, andererseits sorgen die Tiere mit ihren Hinterlassenschaften und kleineren Bodenverletzungen für ökologische Nischen. So brauchen Erdhummeln und -bienen beispielsweise kleinere Löcher im Boden. Orchideen werden von hochspezialisierten Bienen und Käferarten bestäubt. Manche ahmen sogar im Wuchs ihren Bestäuber nach, um diesen anzulocken. 

„Das Naturschutzgebiet Hintere Dick ist ein Vorzeigebeispiel dafür, wie Artenschutz gelingen kann: Geschützt vor schädlichen Stoffeinträgen wie Gülle und Pestiziden und gut gepflegt ist es ein echter Hotspot der Biodiversität in ganz Deutschland“, so Dr. Sorg. 

Eine 2017 erschienen Studie des Insektenforschers fand weltweit Beachtung. Hier fand er heraus, dass es heute 75 Prozent weniger Insekten gibt als noch 1990. „Wir müssen dringend dafür sorgen, dass wir die Artenvielfalt nicht nur in Naturschutzgebieten, sondern auch außerhalb davon schützen. Deshalb setze ich mich für eine ökologische Landwirtschaft und eine nachhaltige Forstwirtschaft, weniger Flächenversiegelung und andere Projekte, wie etwa den Erhalt von Grünland ein“, so Klimaschutzministerin Eder.

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