„Trotz dieses Ergebnisses hat eine eingehende juristische Prüfung des Gutachtens ergeben, dass eine Klage gegen das Atomkraftwerk wenig Aussicht auf Erfolg hat. Das französische Recht verpflichtet den Kläger zu einer umfassenden Beweisführung in Bezug auf konkrete sicherheitstechnische Risiken und Eintrittswahrscheinlichkeiten. Daher sehen wir von einer Klage ab. Wir werden uns allerdings mit Nachdruck dafür einsetzen, dass es keine Laufzeitverlängerung des Atomkraftwerks in Cattenom geben wird. Das erstellte Gutachten bildet für dieses Verfahren eine sehr gute und wichtige Grundlage“, so Höfken und Krämer.
Französisches Recht setzt hohe Hürden für Beweisführung
Das französische Recht sieht vor, dass die Kläger nachweisen müssen, welche schwerwiegenden Risiken für Mensch und Umwelt von dem Atomkraftwerk ausgehen. „Wie das Gutachten und die juristische Prüfung des Gutachtens ergeben haben, muss für diese Beweisführung die Kausalitätenkette zwischen einem auslösenden Ereignis wie beispielsweise einem Flugzeugabsturz und dem daraus folgenden Schaden für Mensch und Umwelt lückenlos und technisch detailliert aufgezeigt werden. Außerdem muss nicht nur nachgewiesen werden, was genau passieren könnte, sondern auch, mit welcher Wahrscheinlichkeit dies geschehen könnte“, sagte Umweltministerin Höfken. Diesen Nachweis selbst zu führen, würde unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen, mehrere Jahre dauern und einen Erfolg der Klage nicht garantieren. „Hinzu kommt: Die sicherheitstechnischen Risikomerkmale, die im Gutachten festgestellt wurden, weisen auch alle anderen, baugleichen Atomkraftwerke in Frankreich auf. Auch wenn dies alarmierend ist, reduziert diese Tatsache die Erfolgsaussichten vor Gericht maßgeblich. Ein markantes Auslegungsdefizit, das Cattenom aus dem französischen Kraftwerkspark negativ hervorheben würde, wurde im technischen Gutachten nicht aufgezeigt“, sagte Staatssekretär Krämer.
„Wir haben uns daher entschlossen, keine Klage gegen das AKW Cattenom zu erheben – aber die Ergebnisse und gewonnenen Erkenntnisse sinnvoll einzusetzen“, so Höfken. „Wir werden die Ergebnisse des Gutachtens als weitere Argumentationsgrundlage für den politischen Dialog mit Frankreich verwenden.“ Staatssekretär Krämer betonte: „Auf der Grundlage dieses Gutachtens werden wir uns kritisch in das französische Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung für die Laufzeitverlängerung des AKW Cattenom – „Enquête Publique“ genannt – einbringen.“
„Wir müssen alle politischen Register ziehen, um eine Laufzeitverlängerung zu vermeiden. In der ganzen Sache ist es wichtig, dass mit den Franzosen gesprochen wird und nicht über sie“, sagte Landrat Günther Schartz. Der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe erklärte: „Groß geworden direkt neben dem AKW Fessenheim, kenne ich das Gefühl der Angst bei den Menschen vor diesen Meilern sehr genau – gerade hier so nah an der Grenze. Ganz klar: Solange französische Atomkraftwerke am Netz sind, bleibt das Thema ein Thema“, unterstreicht OB Wolfram Leibe die Aktualität. „Die Region Trier ist dankbar, dass die Landespolitik in Rheinland-Pfalz und Saarland die Trierer Initiative ebenso engagiert unterstützt wie unsere Partner in der kommunalen Familie. Wir wissen, dass wir auch weiterhin in enger Abstimmung miteinander die Frage der Atomkraft in Frankreich behandeln werden.“
Höfken/Krämer: „Der Kampf um Sicherheit geht weiter.“
Diese Enquête Publique wird fünf Jahre vor dem Ablauf von 40 Betriebsjahren durchgeführt. Dies wäre beim Block 1 des AKW Cattenom im Jahr 2021. Der Betreiber muss hierbei vorstellen, welche technischen Maßnahmen er für die Laufzeitverlängerung vorsieht. „Wir wollen die Möglichkeit nutzen, uns in einem offiziellen französischen Verfahren zur Laufzeitverlängerung kritisch und mit Verweis auf die nachgewiesenen Schwachstellen einzubringen“, sagte Höfken.
Auch auf Bundesebene engagieren sich Rheinland-Pfalz und das Saarland: So haben sich die Umweltministerien beider Länder mit einem Schreiben an Bundesumweltministerin Svenja Schulze gewandt, um sie für ein gemeinsames Vorgehen gegen eine Laufzeitverlängerung für das AKW Cattenom zu gewinnen. „Der Kampf um Sicherheit geht weiter. Das Gutachten hat uns in diesem Vorhaben bestärkt“, so Höfken und Krämer.
Am 23. April wird das Umweltministerium Rheinland-Pfalz zudem das Treffen der „Allianz der Regionen für einen europaweiten Atomausstieg“ in Mainz ausrichten. Der Allianz gehören Regionen aus Deutschland, Österreich und Belgien an.
Zum Hintergrund:
Das rheinland-pfälzische Ministerium für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten hatte gemeinsam mit dem saarländischen Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz ein Rechtsgutachten durch die französische Anwaltskanzlei BMH Avocats erstellen lassen, um mögliche Rechtsmittel gegen die Fortsetzung des Betriebs des AKW Cattenom zu prüfen.
Ein zentrales Ergebnis dieses Rechtsgutachtens war, dass ein Antrag auf Betriebseinstellung bzw. eine nachfolgende Klagen nur dann erfolgversprechend sind, wenn anhand technischer Unterlagen die schwerwiegenden Risiken für Mensch und Umwelt aufgrund von Sicherheitsdefiziten des AKW Cattenom gerichtsfest belegt werden können.
Um zu prüfen, ob eine solche Klage technisch ausreichend begründet werden kann, haben die oben genannten Ministerien gemeinsam im September 2017 das Öko-Institut e. V. mit einem sicherheitstechnischen Gutachten beauftragt. Gegenstand des Gutachtens war:
• Eine Ermittlung der relevanten Bewertungsmaßstäbe.
• Eine Ermittlung und Darstellung der sich aufgrund der Bewertungsmaßstäbe ergebenden sicherheitstechnischen Defizite.
• Die Identifizierung solcher Defizite, die alleine oder in der Summe schwerwiegende Risiken für die Menschen und die Umwelt zur Folge haben können.
Das nun vorliegende Gutachten hat zahlreiche solcher Defizite identifiziert:
• Defizite bei der vorgeschriebenen Beherrschung eines Erdbebens. Dies betrifft Mängel im Zwischenkühlsystem, im Feuerlöschsystem sowie im System zu Verteilung von gasförmigem Wasserstoff in der Anlage.
• Defizite hinsichtlich des geringen Redundanzgrads und der geringen Diversität insbesondere der Notstromversorgung bei einem Erdbeben. So verfügt das AKW Cattenom derzeit beispielsweise nur über 2 Notstromdiesel je Block statt 4 Notstromdiesel in deutschen Anlagen.
• Der unfallbedingte Flugzeugabsturz auf das AKW Cattenom mit größeren als den bislang für diese Anlage unterstellten Einwirkungen, deren Folgen großen und sehr frühen einsetzende Freisetzungen von Radioaktivität sein können. So wurde das AKW nur gegen kleine Sport- und Passagierflugzeuge ausgelegt.
• Erhöhte Erfolgsaussichten eines Sabotageaktes durch einen möglichen Innentäter durch die zuvor beschriebenen Defizite.
• Deutlich erhöhtes Risiko von Unfallabläufen mit großen, frühen Freisetzungen durch einen gezielten Flugzeugabsturz.
• Fehlende diversitäre Systeme oder Einrichtungen bei der primärseitigen Kühlmittelergänzung, primärseitige Wärmeabfuhr, Wärmeabfuhr aus dem Containment oder Lagerbeckenkühlung. Diversitäre, also unterschiedlich konstruierte Systeme sollen verhindern, dass ein Konstruktionsfehler zum Ausfall gleich mehrerer redundanter Systeme durch die gleiche Ursache führen kann.
• Defizite bei dem frischdampfgetriebenen, stromunabhängigen Turbogenerator zur Notbespeisung der Dampferzeuger sowie die noch nicht abgeschlossene Nachrüstung eines zusätzlichen, dritten Notstromdiesels pro Block.
• Bei externen Einwirkungen wie Erdbeben nicht mehr verfügbare Möglichkeit der gefilterten Druckentlastung des Containments sowie fehlende Möglichkeit der Rückhaltung radioaktiver Stoffe im Brennelement-Lagerbecken bei einem Unfall.
Das vollständige Gutachten als pdf-Datei finden Sie <link file:112344 _blank download>hier